Wasserzeichen

19./20.06.18: "Verein(t)?": Musical-Aufführung

Musical-AG 6/18Bericht: Herr Gutmann, Fotos: Herr Faul, Herr Scheidel 

Es ist nicht weit von Pirmasens bis ans Hambacher Schloss. Beide Städte bilden sozusagen Tore zur Pfalz. Wenn also das neue Musical unserer Musical AG in Hambach spielt, so ist die Handlung quasi ein Heimspiel.

Es ist nicht so lange her, dass in Hambach mit der schwarz-rot-goldenen Fahne die Demokratie in Deutschland ihren Anfang nahm. Wenn das neue Musical unserer Musical AG zur Zeit des Hambacher Festes spielt, kann man sich die Frage stellen, ob die schwarz-rot-goldene Fahne und das damalige Engagement für die neue Demokratie noch ein Heimspiel für unsere junge Generation ist. Das Stück "Verein(t)?" lotet genau dies aus.

Wir befinden uns in einem typischen kleinen pfälzer Bauernstädtchen. Es ist Erntezeit, die Bürger bereiten das jährliche Fest vor. Hans , der örtliche Dichter (Johannes Vehling), hat wieder ein Stück verfasst, das von den Laien des Ortes (u. a. Felix Böswald als Albert und Filip Divkovic als Kurt) aufgeführt werden soll. In diesem Handlungsstrang entspinnt sich eine schöne Variante des Peter-Squenz-Motivs, nur, dass hier bereits vor dem Probenbeginn allerlei Hickhack um die Besetzung und um das Stück überhaupt im wahrsten Sinne des Wortes über die Bühne geht. Vor allem die Damen des Ortes (Sophie Heim als Anna, Clara Maly als Babette) sehen keinen Sinn darin, zum wiederholten Male ein Stück zu spielen, in dem es doch wieder "nur um einen Kürbis" geht. Auf der Oberfläche stellt dieser Kürbis sicherlich einen schönen Running Gag zur Verfügung, wenn sich jemand mal wieder über Hans' Einfallslosigkeit beschwert. Bei genauerer Betrachtung wird aber schnell klar, dass hinter dem Kürbis eine frühe Politikverdrossenheit steckt. Hans, der Künstler, ist einer der letzten Romantiker; für ihn ist eine Teilnahme an den politischen Diskussionen undenkbar, seine Kunst bleibt innerlich, seine Motive findet er in der Natur. Der Kürbis, den er jedes Jahr aufs Neue in einem Stück unterbringt, spiegelt somit sicherlich auch unsere zeitgenössischen Ausflüchte vor aktiver Politikbeteiligung wider, wenn zum Beispiel bereits dreizehnmal Germany's Next Topmodel gesucht wurde, oder wenn der nachmittägliche Konsum von "Unterschichtenfernsehen" schon so sprichwörtlich geworden ist, dass man das Gefühl haben könnte, dass die gesamte Nation sich nach dem Mittagessen mit getauschten Ehefrauen oder nachgespielten Polizeieinsätzen im Kleinkriminellenmilieu einlullt. Hans steht wenigstens noch in einer literarisch-philosophischen Tradition. Gegen das, was jetzt aber in seine romantische Welt einbricht, ist er mit dieser Tradition machtlos.

Hans' Vereinsbruder Jakob (Jonathan Fuchs) engagiert sich noch heimlich, still und leise bei der Vorbereitung eines Festes auf dem Schloss. Er weiß, dass das ein großes Fest wird, und er weiß, dass seine Mitbürger im Städtchen im Vorfeld gar nicht begreifen können, worum es hier gehen wird. Die politische Dimension muss so lange geheim gehalten werden, bis es für die Obrigkeit nicht mehr möglich sein wird, die demokratische Bewegung und ihr Fest zu verhindern. Man muss so lange leise bleiben, bis der Chor, den man anstimmen kann, so laut ist, dass er nicht mehr überhört werden kann. Wie sehr die neue Bewegung mit ihrer Forderung nach Demokratie schon etabliert und erfolgreich ist, sehen wir gleich in einem der ersten Bilder, wenn nämlich der Pole Karol (Jan Hildenbrand) auftritt. Er ist extra aus Polen angereist, um am Feste teilnehmen zu können. Jakob hat alle Hände voll damit zu tun, Karols öffentliche Bewunderung für die Demokratie im Zaum zu halten. Ähnlich wie in den Romanen von Jane Austen, bei der die französische Revolution in aller Deutlichkeit ausgeblendet wird und gerade dadurch eine unterschwellige Unsicherheit allgegenwärtig macht, gibt es auch in Beate Vehlings diesjährigem Musical einen bedrohlichen Elefanten im Zimmer, über den niemand redet: die Staatsmacht. Hans' Stücke über Kürbisse laufen sicherlich nur geringe Gefahr, von der Zensur überhaupt beachtet zu werden, und ein Kleingärtnerverein muss auch nicht von geheimer Polizei überwacht werden, solange er sich keiner politischen Aussagen schuldig macht. Die reale Bedrohung wird aber in jeder Szene deutlich, wenn man Karol mal wieder beim Schwärmen stoppen muss.

Einmal in der Welt, zeigt sich aber die Schwärmerei, die Ausdruck einer Überzeugung ist, als ansteckend. Es sind vor allem die Damen im Verein, die Karol zum Fest folgen wollen. Obschon den (noch) nicht eingeweihten Vereinsmitgliedern überhaupt nicht klar ist, worum es bei dem großen Fest wirklich gehen soll, dass ein durchaus billigend in Kauf genommenes Ergebnis dieses Festes eine blutige Revolution in Deutschland sein könnte, sind sie überzeugt von der Wichtigkeit des Unterfangens und sie spüren instinktiv, dass all diejenigen, die aus ganz Deutschland und sogar aus ganz Europa anreisen, ihre Unterstützung verdienen. Der Verein beschließt, die Besucher des Festes auf dem Hambacher Schloss zu verköstigen. Schließlich ist man ein Kleingärtnerverein und kennt sich mit Verpflegung aus.

Selbstverständlich dringen Karols Ideen von Freiheit, Gleichheit und Einheit natürlich auch in die Köpfe und Herzen der zu Beginn durch und durch unpolitischen Kleinbürger vor. Die Tatsache, dass just eine polnische Figur den Ruf nach "Einheit" auf die Bühne bringt, unterstreicht die Verwandtschaft der Verhältnisse im damaligen vielstaatlichen Deutschland und dem heutigen vielstaatlichen Europa. Eine Einigung der kleinen Fürstentümer schwächt die Macht des Adels und befreit das Volk. Einheit der Völker bedeutet Sicherheit und gegenseitige Unterstützung. In diesem Sinne ist das Broteschmieren und Gemüseputzen, zu dem sich die Kleingärtner entschieden haben, hoch politisch.

Eine dramaturgisch klug eingesetzte Personifikation veranschaulicht während des gesamten Stücks den philosophischen Weg, den unsere Kleingärtner zurücklegen, nämlich vom spätromantischen Spießbürger zum jungen deutschen Demokraten: die Vereinsfahne (Luis-Pascal Mack) übernimmt die Funktion des kommentierenden Chors. Ist sie zu Beginn einfach eine Fahne, die bereits in die Jahre gekommen ist, die mehr schlecht als recht aufbewahrt und nicht so gepflegt wird, wie sie es sich wünscht, erlangt sie als identifikationsstiftendes Element eine immer größere Bedeutung. Sie wird lauter, drängt sich mehr in den Vordergrund, bis sie ihrer wahren Bestimmmung als Kristallisationskern eines neuen "Vereins" gerecht werden kann. Sie wird ausgepackt, gepflegt, gereinigt und schließlich stolz als Symbol des Zusammenhalts aufs Schloss getragen. Nicht nur dem Genre der Komödie ist es geschuldet, dass ausgerechnet ein Unfall beim Reinigen der Fahne dazu führt, dass sie schwarz-rot-gold ist; das Rot kommt hier nicht vom Blut der für die Sache sterbenden Demokraten, sondern vom pürierten Gemüse; die alte Fahne wird von dem Gemüse durchtränkt, das die Kleingärtner als ihren Anteil am Hambacher Fest vorbereiten, und trägt so das Neue im wahrsten Sinne des Wortes in sich.

Es sangen und spielten Sophie Heim, Clara Maly, Felix Böswald, Johannes Vehling, Filip Divkovic, Jonathan Fuchs, Jan Hildebrand, Luis-Pacal Mack. Für die Einstudierung zeichneten Janina Graziano und Beate Vehling verantwortlich, die auch die Live-Begleitung am Flügel übernahm. Daniela Schilling gestaltete die Kostüme, und Sahrah Bangert, Hannah Bank, Solvej Spies und Chantal Kraus das Plakat.

Zwei gelungene Abende. Die Schulgemeinschaft freut sich auf das Musical im Schuljahr 2018/19!

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